Denn es braucht weder Aliens, Chronologiekritiker noch Verschwörungstheorien. Themen wie Basken, Seevölker, Dorische Wanderung, Atlantis oder indogermanische Invasionen sind längst zu deuten. Man muss nur die neuesten Veröffentlichungen von Archäologen, Genetikern, Geologen, Linguisten und Geografen zusammenbringen. Und die lassen sich durch die sog. Katastrophentheorie zusammenfassen, welche Auf- und Untergang aller urzeitlichen Kulturen nach den immer gleichen Abläufen erklärt: tektonische Verwerfungen (auch wegen kosmischer Impacte), Tsunamis und kurzfristige Besiedlung der Höhen, atmosphärische Winter und langfristige Agrar- und Subsistenzkrisen, kriegerische Völkerwanderungen und letztlich technologischer Fortschritt. Dazu stelle ich im Einstieg "Worum es hier geht“ 7 Hypothesen auf, die gerne diskutiert werden können. Die daraus resultierende Chronologie finden Sie in den Artikeln von 1. bis 7. durchnummeriert. Eine Übersicht der damaligen Kulturen ganz unten rechts…

Montag, 6. November 2017

Urnenfelderkultur durch Naturkatastrophen entstanden? Analyse eines Spektrum-Artikels

In der Spektrum-Spezialausgabe 4.16 werden unter dem Titel „1200 v. Chr. - das dramatische Ende der Bronzezeit“ die geltenden Lehrmeinungen über den totalen Zusammenbruch der Hochkulturen damals zusammengefasst. Das ist erfreulich und traurig zugleich, weil ihr epochaler Charakter damit bestätigt, der begrenzte Blickwinkel auf sie aber untermauert wird. Wieder bestätigen die Autoren durchweg die Hypothesen dieses Blogs, wieder verdrängen sie die einheitliche Ursache des Kollapses und ihren kontinentalen Zusammenhang. Zitat: „Der zeitgleiche Untergang etlicher bronzezeitlicher Kulturen hatte sicher nicht einen, sondern viele Gründe. Damit wird der Kollaps damals auf einen Zufall reduziert. Solch einer Logik kann ich nicht folgen.
Trotzdem muss die Publikation als „Quantensprung“ bezeichnet werden:
  • Sie rückt ein Thema in den Fokus, dass in der Archäologen- und Historikergilde mehrheitlich auf Skepsis stößt, in der universitären Ausbildung keine Erwähnung findet und in der Öffentlichkeit gar nicht wahrgenommen wird. Z.B. lehnen die Administratoren in der deutschsprachigen Wikipedia jeglichen Artikel dazu ab.
  • Erstmals wird mit einem Beitrag die Urnenfelderkultur in Zentraleuropa als Bestandteil dieser Epoche einbezogen und damit ein kontinentaler Zusammenhang der Umbrüche damals signalisiert. Eine Landkarte sieht gar Wanderungen über die Alpen hinweg nach Süden!
  • Es werden neue Forschungsergebnisse aus der Zeit um 1200 v. Chr. veröffentlicht, die die Hypothese einer Katastrophenzeit mit einheitlicher Ursache und den logisch sich entwickelten Konsequenzen stützt. 
Insgesamt aber schafft es die Expertenrunde nicht, über ihren Tellerrand hinweg zuschauen:
  • Wo kommen die Seevölker her?
    Trotz der erahnten kontinentalen Krisenauswirkungen wird ganz Westeuropa einfach ausgeklammert. Damit suggeriert man: bei den Barbaren kann nicht so viel passiert sein. Dabei ignoriert die Spektrum-Redaktion für 1200 v. Chr. den Wissenszuwachs in den letzten Jahren in England, Frankreich, Portugal und Spanien (Al Magra-, Los Millares-, El Argar- und Glockenbecherkulturen). Denn der belegt, dass dort die gleichen katastrophalen Abläufe stattgefunden haben müssen wie im Osten, nur schlimmer. Nach den Thesen dieses Blogs könnten im Westen sogar die Ursachen für den Kollaps gelegen haben.
  • Einige Beiträge gehen sogar hinter bisherige Erkenntnisse zurück. So wird der s.g. Seevölkersturm als Forschungsmythos abgetan. Eine Wissenschaftsrunde, die sonst schriftliche Überlieferung als Non plus Ultra der Forschungssicherheit betrachtet, lässt hier die Inschriften im Totentempel von Medinet Habu als reine Propaganda Ramses III. abqualifizieren.
  • Alle Autoren rätseln an den ergrabenen Symptomen herum, nähern sich den ursächlichen Zusammenhängen aber nur in Ansätzen. Damit gelingt es wieder keinem den Gesamtzusammenhang herzustellen.
Was sagt uns historische Tektonik?
Dabei lösen sich alle historischen Fragen um 1200 v. Chr. in der Kausalkette der Katastrophentheorie auf: Extreme tektonische Verwerfungen der europäischen Platte mit dem Schwerpunkt Atlantik, Supereruptionen der Vulkane von Hekla bis Ätna, Ascheverseuchung der Atmosphäre, große Tsunamis von Nordmeer, Atlantik und dem westlichen Mittelmeer aus, Erdbebenzerstörungen in allen Ausgrabungsstätten rund um das Mittelmeer, in Zentraleuropa erkennbar an den Schäden in Hallstatt, dem Stadtfelsen von Porto oder Helgoland. Es kommt allerorts zu einem Bevölkerungsschwund im Flachland und dem massenhaften Bau von befestigten Höhensiedlungen. Es folgt eine kontinentale Klimakatastrophe mit Dauerregen im Norden und Dürre im Süden, Agrar-, Hunger- und Subsistenzkrise besonders in Westeuropa und damit Abwanderung der Menschen Richtung Osten und Süden. Dabei musste es zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen, die im Dominoeffekt bis Ägypten getragen worden sein können.
Mit dieser Hypothese werden all die lokalen Dürren, Hungersnöte, sozialen Verwerfungen, Handels- und Wirtschaftskrisen, innenpolitische Machtkämpfe und Palastrevolten, sogar das Absetzprinzip der verbrannten Erde, wie in Hattuscha, erklärt.
Schauen wir uns einige Aussagen bei SPEKTRUM genauer an:
  • Klimaschwankungen in Europa
    Verschiedene Autoren deuten zu mindestens an, dass um 1600 v. Chr. schon einmal solche ein Umbruch stattgefunden haben könnte (zu Zypern, Kreta und Minoer). Die verheerendste Katastrophe, die aus dieser Zeit ausgegraben wurde, ist der Ausbruch des Thera auf Santorin. Logisch also, dass damals die gleichen Mechanismen gewirkt haben müssen wie 1200 v. Chr.
  • Immer wieder wird versucht, den absoluten Zusammenbruch der Hochkulturen zu relativeren. Tenor: Man habe ja versucht, wieder aufzubauen, an alte Traditionen anzuknüpfen, halt auf niedrigem Niveau (Mykene, Tiryns, Hazor). Dabei lassen eine verlorene Schrift, eine neue Sprache und vergessene Baukünste nur einen Schluss zu: Die Eliten waren weg und neue fremde Herren eingezogen. Die müssen als jeweils „primitiver“ aber halt auch entschlossener bezeichnet werden. Einzelne überlebende Baumeister und Schriftgelehrten bestätigen nur die Regel (Großkönigreiche Tarchuntassa und Karkemisch). Das gilt auch für die israelitischen Nomaden, die sich die geschwächten Stadtstaaten in Palästina einverleibt hatten.
  • Ebenso werden Invasionen mehrfach als schrittweise und friedliche Einwanderungen deklariert (Dorer, Ioner). Die mag es gegeben haben, aber erst in Folge der gewonnenen Kriege. Wie soll man aber eine offene Feldschlacht archäologisch finden? So kann die Dorische Wanderung erst im 11. Jhd. als langsames Einsickern kleiner Gruppen bemerkt werden. Dass sich die Neuankömmlinge so schnell durchsetzen konnten (Polis Sparta, mythischer Trojanischer Krieg) kann nach den Mustern der damaligen Zeit nur eine Annexion bedeutet haben. Und da wage ich hier nicht einmal den heraklischen Götterkult der Dorer als Verweis auf Südwesteuropa zu interpretieren.
  • Ein Beitrag beschäftigt sich mit Hattuscha, der Hauptstadt der Hetiter. Die hätten ihren Königspalast verlassen und ihre Vorratshäuser selbst angezündet, so wie die Russen einmal Moskau. Das könne nichts mit den Seevölkern zu tun haben. Auch wenn man der fragwürdigen These folgt - ohne Not und drohender Übernahme werden die Könige ihren Palast sicher nicht aufgegeben haben. Vermutete Hungersnöte, Kriege mit den Assyrern im Osten, sich verselbständigende Provinzfürsten, Verlust der hetitischen Keilschrift - all das kann m.E. angesichts der o.g. ägyptischen Inschriften nur im Zusammenhang mit dem Zug der „Krieger von den Inseln“ gesehen werden und nicht als Ursache.
  • Und dann werden die Dunklen Jahrhunderte als Zeit des Aufschwungs gefeiert (Eisen, Polis, Epos). Das klingt wie ein Spruch der Technikenthusiasten nach dem 2. Weltkrieg. Für diesen Blog, mit der hier auch vertretenen Rückwanderungstheorie ab 1000 v. Chr., sind aber bestimmte Details der bei Spektrum genannten Katastrophen interessant: Zunächst dominiert noch Einwanderung aus dem Westen, dann werden langsam wieder die Küsten besiedelt, plötzlich zeigt sich auf den ägäischen Inseln wieder Leben, und dann beginnen Griechen, Phönizier und Anatolier im großen Stil das westliche Mittelmeer zu kolonialisieren (Karthago, Sizilien, Süditalien, Marseille, Cádiz). Auf einmal gewinnt der vergessene Rest unseres Kontinents an Bedeutung! Angeblich hätten Auswanderungswillige zu viel Stress im Osten gehabt. Das kann aber nur bedeuten, dass im Westen niemand da war, der Stress machen konnte. Also: das Land könnte noch mehr verwüstete gewesen sein, als der Osten! Also doch der Herd allen Übels?
  • Die Urnenfelderkultur
    Die Urnenfelderkultur, von Experten an Zentraleuropa festgemacht, durfte im Reigen der Katastrophenbetroffenen aber nicht nur dabei sein, sondern ihre Ausstrahlungskraft bis über die Alpen und den Balkan hinweg offenbaren. Dass sich das Brandgrab spätestens seit dem Einzug der Dorer Schritt für Schritt in Griechenland verbreitete, beweist ebenfalls die Ankunft neuer Herren, egal ob die nun in jedem Detail der akademischen Urnenfelder-Definition entspricht. Der Artikel ist von keinem geringeren als Frank Falkenstein verfasst, der in seinen jungen Jahren die offiziell abgelehnte Katastrophentheorie untersuchte. Ein Schelm, der seine Teilnahme hier mit seiner Abkehr von den alten Thesen in Verbindung bringt.
  • An mehreren Stellen wird für 1200 v. Chr. in Zentraleuropa Kälte und extremer Niederschlag postuliert, im Mittelmeerraum dagegen Dürre. Nach Aussage von Meteorlogen ein durchaus denkbares Szenario, dass in den Vulkaneruptionen seinen Ursprung haben könnte. Dass aber Ugarit, das bedeutendste Handelszentrum damals, an Trockenheit und Hitze zugrunde gegengen sein soll, halte ich für nicht plausibel. Die Hafenstadt war nach schriftlichem Zeugnis direkt in die Überlebenskämpfe der Hethiter und Ägypter eingebunden. Für fehlende Speerspitzen in seinen Ruinen kann es viele erklärende Szenarien geben.
  • Kampf gegen die Seevölker
    Und dann kommt der Artikel von Jesse M. Millek: Seevölker - Sturm im Wasserglas. Ich mag angesichts solcher Ignoranz gar nicht mehr auf Details eingehen. Er bemüht den akademischen Fachstreit um Siedlungsschichten, zweifelt Ausgrabungsergebnisse der Archäologen an und tut die ägyptischen Schriftquellen als reine Propaganda ab. Dabei funktioniert Staatsmanipulation wie heute nur mit einem realen Kern. Fehlende Brandspuren beim Aufkommen der Philister in Palästina wertet er beispielsweise als friedliche Einwanderung. Und ich dachte, die Archäologen sei sich inzwischen einig, dass diese Seevölkertruppe nach dem Sieg der Ägypter dort zwangsangesiedelt wurde. Da hätte niemand brandschatzen müssen.
Wenn man sich also überlegt, dass bereits im 19. Jahrhundert über die einheitlichen Ursachen und epochalen Auswirkungen der Katastrophentheorie 1200 v. Chr. debattiert wurde, kann man ihre akademische Anerkennung wohl erst im nächsten Jahrtausend erwarten. Da es nicht einmal die Experten schaffen, eigene Ausgrabungsergebnisse durch interdisziplinäre Weitsicht zu einer geschlossenen Theorie zusammen zuführen, was soll man dann von den Redakteuren bei SPEKTRUM erwarten?! 

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